ie hat den erfolgreichsten Blog im chinesischen Internet, aber sie ist weder Dissidentin noch Chauvinistin, noch legt sie schockierende Sex-Beichten ab. Die 1974 in Peking geborene Xu Jinglei fällt also unter keine der Kategorien, unter denen Chinas Öffentlichkeit gemeinhin westliches Interesse beanspruchen kann.

Doch seitdem die Schauspielerin und Regisseurin im Oktober letzten Jahres ihren Blog auf der Celebrity-Seite des chinesischen Internetanbieters Sina.com eröffnete, haben sich mehr als elf Millionen Besucher bei ihr angeklickt; ihre täglichen Eintragungen verzeichnen durchschnittlich tausend Kommentare. Das ist ein Rekord in China mit seinen nominell mehr als dreißig Millionen Bloggern, von denen einige Millionen auch tatsächlich aktiv sein sollen. Schon überlegen manche, wie der Erfolg kommerziell genutzt werden kann.

„Ich bin müde und habe Quatsch erzählt“

Der Grund der Attraktion ist nicht ohne weiteres klar. Gewiß spielt der Prominenz-Faktor eine Rolle. Xu Jinglei wurde durch mehrere Filme und Fernsehserien bekannt, in denen sie herzerfrischend muntere Mädchen spielte. Zuletzt führte sie bei zwei Filmen auch Regie; eine Adaption von Stefan Zweigs Novelle „Brief einer Unbekannten“ brachte ihr auf dem Filmfestival von San Sebastian den Regiepreis ein.
Zum Thema
Google.cn und die chinesische Zensur
Wie Microsoft chinesischen Zensoren hilft
Liebesbriefe im Internet: Eine Autorin erregt China

Doch Xu Jinglei liefert in ihrem Blog keine spektakulären Enthüllungen aus ihrem Privatleben. Es sind nichts als alltägliche Kleinigkeiten, die sie erzählt: wie sie mit ihrer Arbeit vorangekommen ist, wie sie sich von einem Streit erholt, wie sie in allen möglichen Situationen einschlafen kann. Um dann plötzlich zu enden: „Schluß, ich bin müde und habe Quatsch erzählt. Ich halt' jetzt den Mund.“ Dazu stellt sie Fotos, die sie beim Klavierspielen, beim Essen mit Freunden oder beim Zubereiten von Teigtaschen zeigen.

Ihr Blog wird die Gesellschaft verändern

Politisch ist dieser Blog natürlich ebensowenig wie das allermeiste, was im chinesischen Internet geschrieben wird. Die Gesellschaft wird er wahrscheinlich trotzdem verändern: einfach weil er die Gewichte dessen, was öffentlich gesagt und gedacht wird, verändert. Die Resonanz, die Xu Jingleis unprätentiöse Betrachtungen in China bekommen, ist eben auch ein Votum für einen bestimmten Stil, mit dem Leben umzugehen. Ein Leser preist Xu dafür, daß sie das Medium so behandele, „daß es einen Wert hat. Du bleibst du selbst. Deine Sachen haben nicht den Ehrgeiz, von anderen Menschen gelobt zu werden. Dein Blog ist natürlich und ehrlich.“ Das liest sich wie ein Verhaltenskodex der klassischen chinesischen Ästhetik, bei der das, was sich bewahren und nicht verbrauchen will, dahinplätschern muß wie Wasser, leicht sein soll wie grüner Tee.

All das grell Beleuchtete und Akzentuierte, was in der westlichen Öffentlichkeit als Voraussetzung für Wahrnehmbarkeit gilt, wäre da schon verdächtig. Die traditionellen Kategorien scheinen unter den veränderten medialen Bedingungen neue Autorität gewonnen zu haben. Und die Kunst, einen Blog zu schreiben, erscheint wie eine Kunst des Lebens selbst.